Michael Wögerbauer

Amand Berghofer – Rebell und Zensor

82–91 (tschechisch), Resumé S. 91 (deutsch)
Die Studie wirft die Frage auf, wie sich das Verhältnis von Staat und Literatur zwischen den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts und dem Beginn des 19. Jahrhunderts wandelte. Ausgegangen wird vom Luhmannschen Begriff des wesentlich nach Autonomie strebenden Systems. Bei seiner Beschäftigung mit dem „Sozialsystem Literatur“ hat S. J. Schmidt (1989) die Frage des staatlichen Eingreifens in die Literatur faktisch ignoriert. Das Beispiel des Pädagogen, „Rousseauisten“, Schriftstellers und Prager Zensors Amand Berghofer (1745-1825) zeigt, wie eine und dieselbe Person gleichzeitig verschiedene Rollen in verschiedenen Sozialsystemen (z.B. Staatsverwaltung und Literatur), übernehmen kann. In den liberalen achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts bestanden zwischen Staat und Literatur kaum Differenzen. So verwundert es nicht, dass Berghofer um 1791 in Prag Direktor der Klosterbibliotheken und Hauptzensor für belletristische Schriften wurde. Ab 1793 entstand in Wien unter Graf Pergen die nur dem Kaiser verantwortliche, sonst aber autonome sog. Polizeihofstelle. Schon 1798 wurde die Bewerbung des Prager Romanschriftstellers Johann Max Czapek als Kanzleiadjunkt des Bücherrevisionsamtes abgelehnt. Nach 1800 überging die Zensur aus der Zuständigkeit der Studienkommission in die Kompetenz der Polizeihofstelle. Als 1809 in Straubing die 2. Auflage eines Buches mit dem Titel Verbothene Schriften erschien, identifizierte man den Prager Zensor Berghofer als dessen Verfasser. Der nach Autonomie strebende Polizeistaat reagierte mit neuen Dienstregelungen und mit einem Schreibverbot für Berghofer. Schliesslich beschied der Kaiser 1813 „gnadenhalber“ eine Pensionierung für Berghofer, um ihn am Schreiben, beziehungsweise Ausreisen zu hindern. Die Sozialsysteme Staat und Literatur hatten also in der Ära des josephinischen „aufgeklärten Absolutismus“ gemeinsame Interessen. Die 1791 durchaus mögliche Doppelrolle des aufgeklärten Dichter- Beamten wird ab ca.1798 im absolutistischen Polizeistaat unerwünscht und zu Anfang des 19. Jahrhunderts gänzlich unhaltbar. Die Staatsgewalt reagiert auf den Schriftsteller im Beamtenrock wie eine Muschel, die einen störenden Fremdkörper mit einer Perle umhüllt, um ihn zu neutralisieren.
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