Daniela Tinková

Der Wahnsinnige: Ein (autobiografisches) Lebenslauf. Identität und die innere Welt psychisch Aufnahmeprotokollen und Fallberichten der Prager Psychiatrischen Klinik aus der Zeit des Vormärz

S. 269–285 (tschechisch), 287–288 (deutsch)

Die Studie beschäftigt sich anhand von Aufnahmeprotokollen der Prager k. k. Irrenanstalt aus den 1830er Jahren mit der Thematisierung eines individuellen Eigenlebens und psychischer Störungen der Patienten. Zu jener Zeit galt die Prager psychiatrische Anstalt, in deren Leitung W. Rilke, A. Nowak, K. D. Schroff, G. Riedel u. a. wechselten, zu den besten ihrer Art in Europa. Die Studie widmet sich vor allem den Anamnesen (Krankheits-bzw. Krankengeschichten), die von Dorf- und städtischen Ärzten (häufiger jedoch von einem einfachen Wundarzt) im Zuge der Hospitalisierung ausgestellt worden waren, und den bereits von Primär- und Sekundärärzten der Irrenanstalt beschriebenen Fallstudien. Die Autorin konzentriert sich vor allem auf die folgenden Fragen, die bezüglich der Selbstthematisierung, d. h. der Thematisierung des eigenen „Ich" der Patienten, als relevant anzusehen sind: Welches Benehmen hat die Umgebung des potentiellen Patienten für „irrsinnig", „verrückt" gehalten, von wem und aus welchen Gründen wurde seine Hospitalisierung veranlasst? Auf welche Weise haben die Patienten selbst die Umstände und Ursachen ihrer „Verrücktheit" zu erklären versucht? Wie wurde schließlich die Krankheit klassifiziert und inwieweit hat ihr die von den Ärzten der Prager Anstalt vorgenommene so bezeichnete „individualisierte Therapie" entsprochen? Ein Gespräch mit dem Mediziner, der die erste Anamnese erstellte, und anschließend mit dem Anstaltsarzt, hat einen potentielle Patienten zu einer Art Selbstreflexion über sein eigenes Leben und seinen aktuellen Zustand veranlasst. Er sollte seine Familienverhältnisse beschreiben, seine Kindheits- und Jugendtraumata charakterisieren und auch seine Meinung über sich selbst und seine eigene Körperlichkeit; er sollte seine eigenen, häufig ungeordneten, unlogischen und chaotischen Gedanken einordnen. Wertvolle Belege einer subjektiven Reflexion, der Wahrnehmung des eigenen Ich, stellen auch die in den Protokollen verwendeten Begriffe dar, einschließlich der abstrakten Schilderungen, durch die die „Patienten" ihren manchmal schwer benennbaren Zustand zu beschreiben versucht haben. Die von den damaligen Medizinern als Belege eines krankhaften Geisteszustandes aufgezeichneten Selbstaussagen oder Imaginationen können auch weitere Fragen nach der Art des damaligen Verständinisses von Existenzangst stellen. Auf einer allgemeineren Ebene können wir sagen, dass die wundärztlichen „Krankengeschichten" auch als Belege für den wachsenden Einfluss eines „modernen", postaufklärerischen Staates dienen können, der zunehmend auf verschiedenen Formen des für die Wirtschaft und öffentliche Verwaltung wichtigen "Expertenwissens" beruht.

Schlüsselworte: k. k. Irrenanstalt in Prag – psychisch Kranke – Josef Gottfried Riedel

 

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