Milan Ducháček

"Der Nashorn auf dem Weg zum untergehenden Sonne": Jan Gebauer d. J., ein Historiker zwischen Synthese und Cholera

S. 43–58 (tschechisch), 60–61 (deutsch)

Der Beitrag beschäftigt sich mit der Selbstreflexion eines jungen Historikers, Jan Gebauer d. J.  (1884–1908). Der früh verstorbene, laut Zeugenaussagen außerordentlich talentierte Sohn des Begründers der modernen tschechischen Bohemistik, des Philologen Jan Gebauer d. Ä., hat lediglich ein Fragment eines geplanten historiographischen Werkes hinterlassen. In der erhaltenen persönlichen Korrespondenz und auch in intimen, seiner platonischen, doch schicksalhaften Liebe gewidmeten Tagebucheinträgen spiegelt sich seine dekadente Autostilisierung wider, seine hartnäckige Suche nach einem eigenen Platz neben der robusten Autorität seines Vaters in demselben Fach und seine Dilemmata in der Karriere eines Historikers. Der Beitrag wird sich auf den „Weg zum eigenen Ich“ konzentrieren, wie er uns aufgrund dieser Ego-Dokumente erscheint, vor allem auf die Bewunderung Gebauers für die Rolle einer kreativen Individualität, wie sie von den damaligen Geisteswissenschaften verstanden wurde (vor allem Wilhelm Dilthey), auf seine spezifische Überlegungen über die Autorschaft eines historiographischen Textes, aber auch auf die kritische Stellungnahme eines jungen Forschers zu dem damaligen empirio-kritischen Ideal einer „reinen Wissenschaft“ und Realismus eines Masaryk. Der Autor reflektiert auch nationale Konflikte Gebauers während seines Wiener Studiums, die dieser als „Rassenkampf“ verstanden hat. Jan Gebauer d. J. gehörte einer vom eskalierenden nationalen Konflikt zur Zeit des Scheiterns der Badenischen Sprachenverordnungen und des Kampfes in Cisleithanien um das allgemeine und gleiche Wahlrecht geprägten Generation an, für welche der Widerspruch zwischen dem dekadenten Individualismus und den egalitären Idealen der Sozialdemokratie charakteristisch war. In diesem Sinne ist seine autostilisierende Pose sicher keine Ausnahme. Seine Werturteile zeigen offensichtliche Verwandtschaft, aber auch Polemik mit Persönlichkeiten der älteren Generation unter den Prager Historikern und Schülern von Jaroslav Goll, vor allem mit Ladislav K. Hofman und dem Mitbegründer der Wiener kunsthistorischen Schule, Max Dvořák d. J. (dem Nachfolger von Franz Wickhoff), dessen rhetorisches Talent von Gebauer bewundert wurde. Seine Aufzeichnungen und Korrespondenzglossen aus den Jahren seiner persönlichen und beruflichen Reife bieten somit ein gewissermaßen typisches, doch in vielerlei Hinsicht auch außergewöhnliches Bild der Dilemmata jener Generation tschechischer kultureller und intellektueller Eliten, die ein Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg ihren Anteil an der Mitgestaltung der tschechischen modernen Gesellschaft beansprucht haben.

 

Schlüselwörte: Ego-Historie, Dekadenz, Wiener Schule der Kunstgeschichte, tschechische Historiographie, Rase

 

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