Milena Lenderová
Das Erleben der Identität, Konformität und Rebellion in Frauentagebüchern des 19. Jahrhuderts
Einige ausländische Forscher bezeichnen private Korrespondenzen und Tagebücher als rein „weibliche“ Genres. Unabhängig vom Geschlecht des Schreibers bzw. der Schreiberin stellen private Tagebücher eine besondere Quelle zur Alltags- und Mentalitätsgeschichte dar, sie sind hervorragende Dokumente für die Suche nach einer eigenen Identität und einem eigenen Platz im Leben. Dies bezeugen die 11 dieser Studie zugrunde liegenden Tagebücher von zwischen den Jahren 1829–1865 geborenen Mädchen und jungen Frauen aus den tschechischen mittleren und (nur in zwei Fällen) niedrigeren Schichten. Trotz des ungleichen Umfangs, der unterschiedlichen Frequenz der Eintragungen verschiedener Länge schildern sie das intime Leben der Schreiberinnen und spiegeln ihre Bildung, Interessen, Beziehungen zur näheren und weiteren Umgebung wider. Sie sind aussagekräftig und für das Bild des 19. Jahrhunderts wichtig, obwohl sie nicht immer der Realität entsprechen. Größtenteils ergeben sie ein von der Autorin von sich selbst entworfenes und stilisiertes Bild, das die Schreiberin so darstelle, wie sie selbst zu sein wünscht oder wie sie ihre Umgebung von ihr verlangt. Wenn sie sich auflehnt, ist ihre Empörung meistens zeitlich begrenzt, sie zeigt eine Reaktion auf die bedrückenden Praktiken der unmittelbaren Umgebung, vor allem ihrer Familie. Die untersuchten Schreiberinnen haben sich den Ambitionen ihres patriotisch aktiven Umfelds, in dem sie aufwuchsen, und dem vorherrschenden Geschlechterkonstrukt – vielleicht bis auf eine einzige Ausnahme – angepasst, in Erwartung ihrer Zukunft als Ehefrau. Eine alternative Lebensweise war eher selten.
Schlüsselwörte: 19. Jahrhundert, private Tagebuch, Frauengeschichte, Genderkonstrukte
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