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Xavier Galmiche

„Das Vergilische Wesen der mährischen Slowaken“. Die beharrliche Vorstellung von den Böhmischen Ländern als Wunderland zur Zeit des Symbolismus

Für das Französische ist die Mehrdeutigkeit des Worts Bohème/Bohême bezeichnend – einerseits bezeichnet es den geographischen Begriff, andererseits ein Ethnikum („Zigeuner“, ein wildes Volk mit einem instinktiven Sinn für Reisen und Freiheit). Daher auch seine semantische Variabilität – in feststehenden Wendungen wie „vie de Bohème“, ein gesetzloses Leben ohne Pflichten, „la bohème“ im Sinne von „eine Gruppe von Leuten, die ein bohémienartiges Leben führen“. Obwohl das Bemühen der Positivisten nach wissenschaftlicher Erkenntnis dazu führte, dass sie für die Bezeichnung der Nationalität das Wort „tchèque“ bevorzugten, führte das nicht zum völligen Verschwinden des zweiten Begriffs für die geographische Bezeichnung. Diese Bezeichnung überlebte aufgrund der damaligen Neigung, Raum subjektiv wahrzunehmen. Als anschauliches Beispiel für diese These kann man den Westschweizer William Ritter (1867–1955) anführen, der als Bewunderer der rumänischen, tschechischen, slowakischen und polnischen Kultur ein einzigartiger Zeuge dafür war, wie sich West- und Mitteleuropa wechselweise wahrnahmen. Ritters Feuilletons und Aufsätze, aber auch Romane, Theaterstücke, Reiseberichte, Tagebücher und Briefwechsel bieten ein sehr reiches und stilistisch beachtliches Korpus, das zum Studium semantischer Schwankungen und oft gegensätzlicher Perspektiven in den Bezeichnungen der mitteleuropäischen Völker, Nationen und Minderheiten anregt. Besonders der von Ritter unentwegt verwendete Terminus b(B)ohè(/ê)me weist (vermutlich bis heute) eine gewisse poetische Unklarheit auf, der es dieses Land verdankt, dass es gewissermaßen noch immer ein Reich „sanfter Exotik“ ist.