Helena Heroldová
Die Geschichte eines Paars Schuhe
126–132 (tschechisch), Resümee S. 132–133 (deutsch)
In der chinesischen Sammlung des Náprstek-Museums finden sich einige Dutzend Paar Schuhe für die künstliche Verformung weiblicher Füße. Dieser Brauch, dessen Ursprung nicht ganz geklärt ist, war im 19. Jahrhundert in Städten unter chinesischen Frauen verbreitet. Die von zartem Alter an geschnürten Sohlen erreichten im Erwachsenenalter eine Größe von zehn Zentimeter. Die kleinen Füße symbolisierten die gesellschaftlichen, familiären, mütterlichen und sexuellen Pflichten der Frau. Die Beine hüllten sie in wertvolle Strümpfe; die Beine wurden aber weder öffentlich noch privat nackt gezeigt.
Ein paar Strümpfe in der Sammlung des Museums gehört zu einer Schenkung von Ching Ling Foo (1854–1922), eines chinesischen Varietézauberers, der das Museum 1905 während einer Tournée durch Europa besuchte. Heute wird Ching Ling Foo als erster Magier mit chinesischen Wurzeln betrachtet, dem in der westlichen Welt Anerkennung zuteil wurde.
Aus den uns erhaltenen Dokumenten, die von seinem Besuch zeugen, wissen wir, dass eine seiner Attraktionen „Frauen mit kleinen Füßen“ waren. Das westliche Publikum wurde bei solchen Vorstellungen mit den privatesten Werten einer anderen Kultur konfrontiert, die ihm von Angehörigen dieser Kultur präsentiert wurden. Es kam so zu einem Kulturtransfer, der aber notwendigerweise ein Missverständnis mit sich brachte. Die ursprüngliche Bedeutung dieses kulturellen Phänomens blieb dem westlichen Publikum über seinem Verlangen nach oberflächlicher Exotik verborgen, während beim chinesischen Ensemble eine mangelnde Sensibilität gegenüber der eigenen Kultur und Verachtung für die westlichen Zuschauer durchscheint, die diese Traditionen nicht kennen und nicht begreifen.
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