Alice Dubská
Reisen, die kein Ende nahmen. Tschechische Marionettenspieler im 19. Jahrhundert
313–319 (tschechisch), Resumé S. 319 (deutsch)
Die Anfänge des traditionellen Marionettentheaters reichen in die letzten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts. Seinen Höhenpunkt erlebte das traditionelle Marionettentheater in der Zeit der nationalen Emanzipationsbewegung, als es Zuschauer aus allen Bevölkerungsschichten
anzog. Nach den Jahren der Stagnation neigte sich seine Entwicklung jedoch im ausgehenden 19. Jahrhundert dem Ende entgegen. Während auf dem Lande vor allem tschechischsprachige Marionettenspieler wirkten, setzten sich in den größeren Städten deutschsprachige Marionettenspieler durch.
Es mutet paradox an, aber die meisten Marionettenspieler wie beispielsweise Arnoštka Kopecká, die Texte für ihre „Holzschauspieler“ adaptierten und zum Teil auch neue Theaterstücke schufen, waren des Lesens und Schreibens unkundig. Die Lage veränderte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Behörden und Ämter die Einhaltung des regelmäßigen Schulbesuchs strenger kontrollierten. Aber auch den umherziehenden Marionettenspielern wurde es bewußt, dass sie dem Publikumsverlust nur durch Bildung
entgegen wirken konnten. Die Marionettenspieler nutzten die einzigartige Möglichkeit
des Theaters, bei den Zuschauern kollektive emotionale Erlebnisse hervorzurufen. Zugleich vermittelten sie zahlreiche Erkenntnisse über das zeitgenössische Leben.
Der Prager Lehrer František Hauser gehörte zu den Vorreitern des schulischen Marionettentheaters.
Er wollte seinen Schülern auf diese Art einen Unterricht bieten, der Belustigung und Belehrung enthielt. Sein soziales Marionettentheaterstück Die Reise nach Amerika (Cesta do Ameriky) hatte deutliche didaktische Tendenzen. Die erste ständige schulische Marionettenbühne gründete die Lehrerin Ludmila Tesařová 1884 in einem Karlíner (Karolinenthaler) Kindergarten. Eine andere, sehr verbreitete Form des Marionettentheaters war das Familienmarionettentheater, das die Kindheit einiger Generationen geprägt hatte.
Obwohl die wandernden Marionettenspieler von Amateurmarionettenspielern, von Familienmarionetentheatern und von Schulaufführungen abgelöst wurden, schrieb sich diese Form des Puppentheaters trotz all seiner Mängel als ein wichtiges kulturelles Phänomen
ins nationale Bewusstsein ein.
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