Milan Hlavačka
Der Eisenbahnreisende Eduard Bazika oder Unterwegs mit der Ehefrau
Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden berufliche und für die Freizeit geplante Reisen (Urlaub, Ruhestand) zur vorherrschenden Reiseart der neuen bürgerlichen Eliten, und zwar nur zwischen zwei Fixpunkten, nämlich dem Endziel der Reise und dem eigenen Zuhause. Das Ziel der meisten Reisen, mit Ausnahme der Auswanderung, ist die Rückkehr nach Hause. Die mobilste (europäische) Gesellschaft wird in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gleichzeitig zur stabilsten, weil sie auch am familiären Hintergrund festgehalten hat. Weitere Schlussfolgerungen zur näheren Differenzierung der Motivationsfaktoren bürgerlicher Reise- und Freizeitpraktiken lassen sich vor allem durch die Analyse von Ego-Dokumenten wie etwa Baziks Memoiren gewinnen, und zwar anhand verschiedener Konzepte (Kontrast Heim versus Reise, imperiale Biographie, neue Moral der Zeit, die Anthropologie des Tourismus oder die Untersuchung soziokultureller Auswirkungen von Mobilität). Auch in den böhmischen Ländern finden wir am Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Reisementalität der modernen europäischen Gesellschaft vor, die vom Funktionieren der Eisenbahn und den damit verbundenen wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten so stark beeinflusst wurde, dass die zunehmende Mobilität die kollektive Einstellung gegenüber Zeit und Raum verändert hat. Nicht nur das regelmäßige und massive Reisen mit neuen Verkehrsmitteln, sondern auch Ungeduld und die damit verbundene Nervosität wurden zu einem neuen gemeinsamen Zeichen der Zeit; Erscheinungen, die gerade eine verstärkte Reisetätigkeit und eine neue Moral, die auf einer neuen Zeitwahrnehmung beruhte, in die Gesellschaft gebracht haben.
Schlüsselwörter: Berufsreisen - Freizeit - Ego-Dokumente - Eisenbahn
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