Daniela Tinková
Die geistlichen Reisen von Peregrin Stillwasser durch das aufklärerische Böhmen und durch sein eigenes Schicksal. Ein fiktiver Reisebericht im Kontext der josephinischen sozialpolitischen Satire
Der Beitrag ist dem von ihm im Selbstverlag gerausgegebenen Roman des vorzeitig gestorbenen Prager Predigers und Publizisten Augustin Zitte (1752-1785) gewidmet: Peregrin Stillwassers geistliche Reisen durch Böhmen. Oder: Kapitel übers Mönchswesen, und Beyträge zur Geschichte des Cälibats, der Taxa Stolae, wie auch der nöthigen Seel und Leibessorge. Samt allerley andern kuriosen und abentheuerlichen Pastoral und Liebsaffären, item hie und da ein paar Züge der geistlichen Leibeigenschaft (angeblicher Ort der Ausgabe Nimburg 1783).
Dieses satirische Werk, das insbesondere die Zustände in den geistlichen Orden kritisiert, beschreibt drei Reisen eines jungen Helden durch Mittelböhmen. In lebendiger dialogischer Form beschreibt der Autor unterschiedliche Typen und Ansichten von Mönchen und weltlichen Priestern, mit denen der junge Mann, der ins Kloster eintreten soll, konfrontiert wird. Die „Reise" stellt auf der einen Seite eine reale Wanderung durch ausgewählte Orte, auf der anderen Seite eine symbolische Reise zwischen verschiedenen Einstellungen, Meinungen und sozialen Milieus dar. Auf der zweiten Ebene handelt es sich um eine Reise durch damalige kirchliche Übelstände. Hier finden wir im Wesentlichen alle von den Josephinisten kritisierten Praktiken: das ausschweifende Leben der Mönche und Priester, einschließlich Gier, Alkoholismus, Völlerei und Wollust, den „abergläubischen" Charakter der Frömmigkeit des Volkes und der Magie, den leeren Inhalt von Gebeten, aber auch den Missbrauch der Arbeitskraft junger Kaplane. Nicht zuletzt ist es auch das „Wandern" im Sinne des persönlichen Reifens des Haupthelden, dessen Leben nicht nur von einer allmählichen Desillusionierung über das religiöse Leben und die (katholische) Religion im Allgemeinen, sondern auch über die Liebe und den ersten erotischen Erfahrungen geprägt ist.
Das Werk wird zunächst in den historischen Kontext der Veränderungen im religiösen Leben gestellt (die josephinischen Klosteraufhebungen, die Stimmung gegen die Mönche, die Liberalisierung des Büchermarktes und den „Broschürenkrieg" um die katholische Aufklärung). Zum Schluss habe ich versucht, einige satirische Werke von Zittes Zeitgenossen vorzustellen, die aus den böhmischen Ländern stammten oder einige Zeit dort verbracht haben (F. K. Guolfinger von Steinsberg, Leopold Alois Hoffmann, Franz Xaver Huber, bzw. Johann Friedel und Johann Friedrich Ernst Albrecht) und die das Motiv der Reise und des Wanderns in allegorischer Form als eine fiktiven Reise in ein Märchenreich, das von Tieren oder eventuell von Mondbewohnern regiert wird, verarbeitet haben. Diese dystopischen Geschichten, die oft anonym oder unter einem Pseudonym und an fiktiven Orten veröffentlicht wurden, haben das österreichische politische System und seine Gesellschaftsordnung angegriffen und oft einige von den josephinischen Reformen kritisiert - insbesondere ihren autoritären Charakter, den aufkeimenden bürokratischen Apparat oder eine Utopie, die in ihren Folgen der Gesellschaft und ihren Angehörigen schaden würde.
Schlüsselwörter: Augustin Zitte - Franz Karl Guolfinger von Steinsberg - Josephinismus - Aufklärung - literarische Satire - geistliche Orden
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