Václav Matoušek

Zur Mühle, zum Sägewerk oder zum Schinderhaus? Variationen von Sommerwohnungen in ländlichen Weilern im "langen 19. Jahrhundert"

S. 290–301 (tschechisch), Resümee S. 302–303 (deutsch)

Eines der charakteristischen Merkmale der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts war der Prozess der allmählichen Steigerung der  Machtstellung und Bedeutung von bürgerlichen Unternehmern und intellektuellen Eliten auf Kosten des traditionellen Landadels. Ein begleitendes Phänomen dieses Prozesses war das Bestreben einiger Mitglieder der bürgerlichen Eliten, den Lebensstil der Aristokratie nachzuahmen, einschließlich des Erwerbes ländlicher Güter, auf denen sie sowohl wirtschaftliche als auch Freizeitaktivitäten verfolgten. Die Freizeit auf dem Landgut war jedoch nicht immer unbedingt mit wirtschaftlichen Aktivitäten verbunden. Spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts beobachten wir verschiedene Variationen von Erholungsaufenthalten in einer „Sommerwohnung“. Eine solche konnte eine eigene oder gemietete prunkvolle Villa sein, ein bescheideneres Haus, im 20. Jahrhundert eine Hütte oder ein einfaches Landhaus. Eine der Möglichkeiten waren auch ländliche Einzelhäuser bzw. Weiler, oft Mühlen. Die untersuchten neun Mühlen aus Mittelböhmen, Kreis Plzeň/Pilsen und Šumava/Böhmerwald, die im 19. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zur Erholung genutzt wurden, kann man in mehrere Gruppen unterteilen. Chronologisch gesehen besteht die älteste Gruppe aus drei Mühlen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ihre Verwendung hatte primär wirtschaftliche Bedeutung für das Mahlen von Getreide oder als Mühle, die sekundär in einen Hammer oder ein Sägewerk umgewandelt worden war. Eine solche Mühle oder ein damit verbundenes Gebäude in der Nähe wurde nur von der Familie des Eigentümers zur Erholung genutzt. Zwei weitere Mühlen wurden um die Mitte des Jahrhunderts hauptsächlich zu Erholungszwecken gekauft und daher zu Rekreationsobjekten umgebaut. Die dritte Gruppe besteht aus Mühlen, die zwar hauptsächlich zum Mahlen von Getreide verwendet wurden, aber am Ende des 19. Jahrhunderts und in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts vom Müller modifiziert und erweitert wurden  und zugleich für Freizeitaktivitäten von Sommergästen aus Städten dienen konnten. Außer den Mühlen wurden für Rekreationszwecke auch andere Typen von Einzelhäusern angeboten – z. B. Försterhäuser, Betriebsgebäude nicht mehr existierender Eisenhütten, sogar Schinderhäuser oder Fähren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat sich jedoch die Mehrheit der Stadtbewohner in Freizeitvillen, Villenhäusern oder Hüttenkolonien erholt. Und natürlich auch in Hotels, Pensionen, Gasthöfen und Bädern.

Schlüsselwörter: Freizeit – Landsitze der Bürger – Sommerwohnungen – Mühlen – ländliche Weiler 

 

 

 

 

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