Radim Vondráček
Ein Neujahrswunsch als Caritas
Der Verkauf von Neujahrswünschen, der sogenannten „Entschuldigungskarten“, war im 19. Jahrhundert eine sehr wichtige Finanzierungsquelle der Armenanstalten. In Prag hat der wohltätige Verkauf der Neujahrswünsche am Ende der 20er Jahre Eingang gefunden. Zum ersten Mal wurden sie zum Jahresende 1827 angeboten, wahrscheinlich auf Initiative des Oberstburggrafen in Böhmen Karl Graf von Chotek, der diese Novität während seines vorangegangenen Wirkens in Innsbruck kennengelernt hatte (in Tirol hatte sich diese Form der Wohltätigkeit bereits vor 1820 durchgesetzt). Der Begriff „Entschuldigungskarte“ sollte ausdrücken, dass der Spender sich durch ihren Ankauf von den üblichen Neujahrsbesuchen der Armen entschuldigen will und die mit diesen Besuchen verbundene Geldspende auf diese andere Weise bereits geleistet hat. Die Einführung der Entschuldigungskarten war für die Spender sehr bequem, hat jedoch zur Entpersonalisierung der Caritas geführt. Die graphisch ausgeführten Entschuldigungskarten kann man für einen vor allem im urbanen Milieu symptomatischen Beleg für die neuen sozialen Verhältnisse und eines der Merkmale der fortgeschrittenen Modernisierung halten. Am Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte die angewandte Graphik (Visitenkarten, Gratulationskarten usw.), die die als zu persönlich empfundenen Formen der sozialen Kommunikation ersetzte, ihre erste Blüte. In Prag war der Erlös aus dem Verkauf der Entschuldigungskarten für den Privat-Verein zur Unterstützung der Hausarmen bestimmt. An ihrer künstlerischen Gestaltung war in den 30er Jahren hauptsächlich der hervorragende Prager Graveur Jiří Döbler beteiligt, der vor allem nach den Vorlagen des talentierten Absolventen der Prager Akademie der bildenden Künste Josef Führich, gearbeitet hat. Führichs Entwürfe haben den Geist des Landespatriotismus widerspiegelt, indem er böhmische Heilige (Hl. Wenzel, Hl. Adalbert) und Denkwürdigkeiten aus der Geschichte des Landes oder Beispiele für Wohltätigkeit (Hl. Martin) darstellte. Bereits im ersten Jahr wurden mehr als 5000 solcher Neujahrswünsche verkauft. Mit dem erlösten Geld wurde vor allem die Herstellung der Rumfordsuppe finanziert (im Januar und März 1828 waren das über 243 000 Portionen), außerdem wurden Decken, Holz zum Heizen und Bekleidung für Schulkinder angeschafft.
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